Die Ausgangslage: Parität? Fehlanzeige!
Blicke ich vom Präsidentinnen-Stuhl in den Saal, schaue ich auf ein überwiegend männlich besetztes Plenum. Der Frauenanteil im Landtag liegt gerade einmal bei 25 Prozent; im Bundestag sind es ebenfalls nur 31 Prozent. Ähnlich niedrig ist die Quote in den Kommunalparlamenten des Landes. Und in den Rathäusern der Republik leiten in weniger als einem Zehntel der Fälle Frauen die Geschicke der Kommune. Kurzum: Frauen sind auch heute noch auf allen politischen Ebenen unterrepräsentiert.
Deshalb sage ich: Politik muss weiblicher werden. Nicht, weil Frauen per se besser Politik machen. Sondern weil sie Entscheidungen aus ihrer Perspektive treffen. Und weil wir diese Vielfalt der Perspektiven brauchen!
Wir brauchen den weiblichen Blick – auf Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Bildung, der Gesundheitsvorsorge, aber genauso auch auf Themen wie Verkehr, Finanzen oder innere Sicherheit.
Beispiel Coronakrise
Dass Frauen häufig besonders betroffen aber zugleich zu wenig eingebunden sind, wurde in der Pandemie noch einmal deutlich: Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung liegt der Frauenanteil in den systemrelevanten Berufsgruppen bei knapp 75 Prozent. Oft sind es also Krankenpflegerinnen, Kassiererinnen, Erzieherinnen, die den Laden am Laufen halten. Was haben diese Berufe gemeinsam? Sie sind unverzichtbar – und als „Frauenberufe“ häufig schlechter bezahlt. Zugleich übernimmt in Familien die zusätzliche Sorgearbeit in den meisten Fällen die Frau. Das ist schon für zwei Erziehende herausfordernd, für die 1,5 Mio. Alleinerziehenden – davon rund 90 Prozent Frauen – ist das schlicht nicht leistbar. Schließlich beobachten wir in der Krise leider einen Anstieg häuslicher Gewalt gegen Frauen (Hilfe hier!). Sieht man sich demgegenüber an, wer in der Coronakrise in der Bundesregierung berät und entscheidet: Virologen, Ärzte, Politiker. Neben der Kanzlerin vor allem Männer. Wer nicht? Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey.
Wenn aber 50 Prozent der Gesellschaft Frauen sind, sollten sie auch dort repräsentiert sein, wo Entscheidungen getroffen werden.
Für einen Ausgleich zwischen den Geschlechtern in Politik und Gesellschaft brauchen wir eine politische Kultur, die politische Parität fest im Blick hat.
Gleichberechtigung ist kein Selbstläufer
Dafür brauchen wir auch politische Instrumente. Ich unterstütze deshalb die Initiative, das Landtagswahlrecht durch Listen zu ergänzen, wie wir sie von Wahlen zum Bundestag kennen. Damit können die Parteien, die das wollen, den Wähler*innen leichter ein Angebot an Kandidierenden machen, das die Bevölkerung widerspiegelt – in punkto Geschlechtergerechtigkeit wie auch in anderen Bereichen.
Denn von allein ändern sich die Dinge zu langsam. Erst wenn an den Spitzen von Organisationen zumindest eine relative Vielfalt herrscht, rekrutieren sie von selbst Nachwuchs aus allen Teilen der Gesellschaft. Um aber dahin zu kommen, braucht es Impulse – auch um die praktischen Rahmenbedingungen zu ändern, die Frauen von einer Karriere abhalten. Das gilt für die Politik, wo es etwa erst seit einigen Jahren die Option einer Elternzeit auch für Abgeordnete gibt, genauso wie für die Wirtschaft, wie ich bei entrepreneurin.eu mit Blick auf die Erfahrungen meiner eigenen Berufskarriere berichte.
Mein Beitrag als Präsidentin
Auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung müssen wir alle etwas beitragen: Als Schirmherrin unterstütze ich dabei zum Beispiel Frauen-Mentoring-Programme, denn ich bin überzeugt: Kritik ist gut, Vorbild ist besser.
Ebenso wichtig ist es mir, Netzwerke wie das jährliche Treffen der baden-württembergischen Bürgermeisterinnen zur Kooperation und gegenseitigen Unterstützung zu bestärken, denn, mit den Worten der britischen Frauenrechtlerin Millicent Fawcett: "Mut ruft überall Mut hervor."
Schließlich halte ich auf Veranstaltungen öfters Reden zu Frauen und Gleichberechtigung – nicht immer zur Freude des anwesenden Publikums: Als ich beispielsweise kürzlich bei der Landkreisversammlung zu Gast war, sah es dort so aus: Männer redeten, Männer moderierten, Männer saßen im Publikum. Diese Situation habe ich in meiner Rede thematisiert. Die Folge: anhaltendes Raunen und sichtbarer Unmut.
Als Repräsentantin dieses Staates trete ich daher dafür ein, dass unsere Institutionen die Gesellschaft widerspiegeln, deren Geschicke sie lenken. Denn, um die Journalistin Ingrid Kolb zu zitieren:
„Feminismus ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Antwort auf Statistiken.“